Ausstellungstext
"Diplomausstellung- Ohne Titel"
Akademie der bildenden Künste Wien, 2016, Wien (AT)
"Ohne Titel"
Haltung
Die Diplomarbeit besteht aus 38 grafischen Arbeiten auf Papier.
Zur Realisierung der Diplomarbeit habe ich mich unterschiedlicher Formate und Techniken bedient. Es bewegen sich teils druckgrafische Blätter, teils Zeichnungen aber auch gesprühte Artefakte in einem Spannungsfeld zwischen Abbildhaftigkeit und Abstraktion.
Die Felder vermischen sich: Der ursprüngliche Zweck des Druckens (die Vervielfältigung und das Drucken in Auflagen) wird in die Charaktereigenschaften des Zeichnens transformiert; es entstehen Unikatdrucke; Druckplatten resp. Lithografiesteine werden für unterschiedliche Arbeiten mehrfach benutzt und neu arrangiert; Lithografie, Holz- und Linolschnitte vermischen sich.
Den verwendeten Werkzeugen gilt es neue Räume zu eröffnen, denn das verwendete Instrumentarium spiegelt für mich eine politische Haltung wider.
Diese Gestik ist für mich jedoch nicht bloße Metaphorik sondern neben einem Bewusstwerden und der Reflexionsfähigkeit auch Teil der politischen Praxis an sich: Die Trennungen zwischen Politischem und Unpolitischem, zwischen Öffentlichem und Privatem ist spätestens im Zuge der Postmoderne nicht mehr aufrechtzuerhalten. Diese Dichotomie bzw. die Konstruktion dieser beiden Ebenen ist an sich schon Ausdruck einer politischen Form, welche gesellschaftliche Handlungsformen vom Alltag isoliert, dem Feld der Immanenz Transzendenz entgegensetzt und Gesellschaft in Antagonismen strukturiert.
Diese Strukturen gilt es aufzubrechen. Ordnungen, die die Macht erhalten. Eine Macht, die parzelliert, analysiert, klassifiziert und hierarchisiert.
Um das „Unsichtbare Komitee“ zu zitieren: „Die Macht ist mittlerweile die Ordnung selbst […].“ „Eine Ordnung die sich in den Objekten des Alltags selbst vergegenständlicht hat. Eine Ordnung, deren politische Beschaffenheit ihre materielle Beschaffenheit ist. Eine Ordnung, die weniger in den Worten des Präsidenten zum Ausdruck kommt als in der Stille des optimalen Funktionierens.“1
Und genauso gilt es in der Kunst, die hermetisch segregierten Sphären aufzulösen und diese in interstellare, grenzgängerische Erfahrungen umzuwandeln, denn auch sie ist durchdrungen von Macht.
Ich möchte den einzelnen Disziplinen eine Methodik der Dekonstruktion und zugleich des Konstitutiven entgegensetzen; eine Methodik des lebendigen Austausches zwischen den distinkten Milieus, des gegenseitigen Befruchtens und des Klauens, der Selbstkritik, der Kritik der Ästhetik. Aber ich möchte auch eine Methodik der Konflikte und der Montage unterschiedlicher Positionen etablieren.
Meine Arbeiten stellen den Versuch dar, Fehler zuzulassen und der Bildhaftigkeit des Spektakels Bilder zwischen den Demarkationslinien entgegenzusetzen; den Bildern die nekrotische Warenförmigkeit zu entreißen; der systematisierenden Kontrolle nomadisch zu entkommen und sich der Konfrontation gleichzeitig nicht zu entsagen.
Wie es zitiert von Biene Baumeister und Zwi Negator über die Internationalen Situationisten zum Ausdruck kommt, geht es um die Uneindeutigkeit und die Offenheit der Sprache, welche durch die Poesie zum Ausdruck kommt, „denn das Verhältnis 'der Poesie zu ihrer materiellen Basis in der Gesellschaft [ist] nicht von einseitiger Unterordnung bestimmt […], sondern von gegenseitiger Beeinflussung'. [BE: 162/SI2: 38] Und somit kann die SI schlussfolgern: 'Die Poesie wiederzufinden kann dasselbe sein, wie die Revolution aufs neue zu erfinden'. [Ebd.].“2
Der Agens meines Schaffens ist also unter Anderem die (Wieder-)Aneignung von Techniken (wie sie beispielsweise auch in den Werken Tal Rs zu finden ist), welche die Zugänge zur jeweiligen Lebensrealität bilden, für eine Lebensweise, die sich im Feld der Immanenz bewegt.
Neologismen der Bilder und die Neudefinierung der Funktionszuschreibung (ähnlich wie beim Graffiti) sind Ingredienzien dieser poetischen Aneignung.
„Da Produktion und Leben im imperialen Bereich der Biomacht immer mehr ineinsfallen, kommt der Klassenkampf potenziell in allen Lebensbereichen zum Ausbruch.“3
Somit finden politische Angriffe und Subversion auch im „Mikrokosmos“ der Kunst statt. Sie äußern sich in einer Haltung, da diese sich nicht auf eine atomisierte Ebene beschränkt, sondern den gesamten Gestus repräsentiert.
Experimentieren
Das Herumprobieren nimmt in meiner Arbeit eine entscheidene Rolle ein. Dahinter steckt der Versuch, das Arbeiten als ein Experimentierfeld emanzipatorischer Praxis zu verstehen.
Die Erprobung und die damit verbundene Konstituierung neuer Formen und Räume gehen über die Ebene der Bildhaftigkeit hinaus und werden von der Allegorie zum potenziellen Werkzeug.
Der ludische Charakter lässt zu, sich in andere Positionen hineinzuversetzen, eigene Konventionen zu durchleuchten und sich auszuprobieren.
So verweist die situationistische Revolutionstheorie ebenfalls auf das Erklärungsmodell des "Homo Ludens"; den spielenden Menschen: Mit Mitteln des z.B. zufälligen Umherschweifens in der Stadt („dérive“) bzw. der Psychogeographie (die Untersuchung des Einflusses des geographischen Umfelds auf die Psyche und das Verhalten der Menschen) wird versucht, auf die revolutionären Nutzungsmöglichkeiten innerhalb Stadt aufmerksam zu machen.
Im Sinne der "Ecriture Automatique" (dem automatischem Schreiben), welche von den Surrealisten adaptiert wurde, können Assoziationen, Fehler, Spontanität und Sprünge frei zum Ausdruck kommen. Sie bildet ein weiteres Fragment eines experimentellen Rüstzeugs.
Gleichzeitig übersetzt die Druckgrafik das intuitive Agieren in planmäßigere Anwendungen, dessen Spezifikum das Arbeiten in Schichten und in Überlagerungen ist.
Den Arbeiten sind somit ein immanenter Konflikt und eine Symbiose eingeschrieben: Auf der einen Seite steht das Bemühen der spielerischen Auseinandersetzung. Auf der anderen Seite der Versuch eine distanzierte Sicht einnehmen zu können, damit Raum zum Nachdenken gelassen wird und ein Spiegeleffekt entstehen kann; eine Plattform für Diskurse, welche über die Grenzen der Abbildung hinausreicht.
Das Brechen der Geradlinigkeit, das Auflösen des Zentrums und Konflikte sind Teil meiner künstlerischen Praxis, wodurch es für mich notwendig wird, die einzelnen Werke als zusammenhängend zu betrachten.
An dieser Stelle scheint es mir sinnvoll ein Zitat aus Harun Farockis Film „Zwischen zwei Kriegen“ heranzuziehen: „Im Augenblick fotografiere ich Fabrikmauern, weil diese undurchdringlich, unübersteigbar die kapitalistische Produktionsvernunft einschließen. Über sie, da kann der Eigentümer nicht hinweg. Die eigene Mauer verstellt ihnen den Blick aufs gesellschaftliche Ganze. Ich habe mit dem Fotografieren angefangen. Ein Bild ist übrigens zu wenig. Man muss von allem zwei Bilder machen. Die Dinge sind so sehr in Bewegung. Und nur mit mindestens zwei Bildern lässt sich wenigstens die Richtung der Bewegung festhalten. “4
Verweigerung
Auch wenn das gesellschaftliche Leben immer noch, und heute wieder signifikanter als es zuvor schien, aus Grenzen besteht, so kommt es doch in vielen Bereichen zu Entgrenzungen.
Auf der Ebene der kapitalistischen Produktionsweise müssen diese jedoch nicht zwangsweise auf einen Abbau von Hierarchien verweisen. Sie sind Bestandteil einer veränderten Form von Macht.
Kontrolle und Stabilisierung sind Teil und Ziel kybernetischer Praxis: Rückkopplungen und offener Zugang zu privaten Informationen führen zur Möglichkeit der Steuerung und der Sichtbarmachung in der Manier des Panoptikums.
Dieser Beschaffenheit und der damit einhergehenden Normierung und der Eindimensionalität gilt der Versuch der Verweigerung, des Antäuschens, des sich nicht Einordnens; der Unfähigkeit das Bild zu vergegenständlichen; der Unfähigkeit Abbildungen in ein Raster von starren Begrifflichkeiten zu tabellarisieren; ein Versuch im Stil des Free-Jazz.
Oder wie es Hans-Christian Dany in seinem Buch „Morgen werde ich Idiot. Kybernetik und Kontrollgesellschaft“ betitelt: „Rauschende Anti-Kommunikation“.5
„Den Methoden der psychosozialen Steuerung auszuweichen, ihre zahllosen Methoden und Dynamiken zu erkennen, um sich unterhalb ihres Radars zu bewegen, kann nur ein erster Schritt sein. Energien, welche die Sensoren stören, müssten verstärkt werden. Rauschen kann, wenn es ein bestimmtes Maß überschreitet, den Informationsverlust steigern und so die Möglichkeiten des Zugriffs senken.“6
Und so konstatiert auch Jean Baudrillard in seinem Text „Kool Killer oder Der Aufstand der Zeichen“, welcher über die Subversivität von Graffiti handelt : „Vor allem aber wurden zum erstenmal die Medien in ihrer Form selber attackiert, also in ihrer Produktions- und Verteilungsweise. Und zwar eben deshalb, weil die Graffiti keinen Inhalt, keine Botschaft haben. Es ist diese Leere, die ihre Kraft ausmacht. Und es ist kein Zufall, daß der totale Angriff auf die Form von einem Zurückweichen der Inhalte begleitet ist. Denn dieser Angriff geht aus von einer Art revolutionärer Intuition – nämlich daß die grundlegende Ideologie nicht mehr auf der Ebene politischer Signifikate, sondern auf der Ebene der Signifikanten funktioniert – und daß hier das System verwundbar ist und bloßgelegt werden muß.“7
„Idiot“ zu werden, also einen privaten Raum zu schaffen, oder die reine Leere reichen jedoch nicht aus. Die Widerstandsformen gegen die enteignenden Machtstrukturen müssen zu einem kooperativen, konstitutiven Moment avancieren.
Divergenz
Diskrepanzen und Uneinigkeit sind Teil meines Schaffens und dürfen bewusst in den Werken zum Ausdruck kommen.
So möchte ich z.B. einerseits die getrennte Sphäre der Kunst aufheben und in die Alltagspraxis integrieren. Andererseits scheint es mir auch wichtig zu sein, der Kunst eine Dimension der Negation zu verleihen; eine Dimension die im Dissens mit der Wirklichkeit heranwächst; eine künstlerische Entfremdung, denn diese ist „[...] das bewußte Transzendieren der entfremdeten Existenz – ein `höheres Niveau' oder vermittelte Entfremdung.“8 und „In ihren fortgeschrittenen Positionen ist sie die Große Weigerung – der Protest gegen das, was ist.“9
Wie kann man sich also zu diesen und zu anderen scheinbaren Polaritäten verhalten? Ich denke Abweichungen sollten Teil einer politischen Praxis sein und zu künstlerischen Überlegungen beitragen.
Ich hoffe mit meinen Bildern einen Beitrag zu den oben genannten Diskursen leisten zu können, Resonanz und Empfindungen zu evozieren und zum Denken anzuregen.
In diesem Sinne möchte ich noch einmal in abgewandelter Form einen Satz des „Unsichtbaren Komitees“ formulieren: Diese Bilder sind der Anfang eines Plans.10
In Gedenken an Gunter Damisch
Besonderer Dank gilt: Veronika Dirnhofer, Philip Patkowitsch, Theresa Eipeldauer, Numazaki Nobuhiko
1Unsichtbares Komitee: An unsere Freunde. Hamburg: Edition Nautilus Verlag Lutz Schulenburg 2015, S. 66f./ 2Baumeister, Biene; Negator, Zwe: Situationistische Revolutionstheorie.Stuttgart: Schmetterling Verlag 2007, S. 119/ 3Hardt, Michael; Negri, Toni: Empire.Frankfurt/main: Campus Verlag 2002, S. 410/ 4Zwischen zwei Kriegen, Farocki, Harun. 1978/ 5Dany, Hans-Christian: Morgen werde ich Idiot. Hamburg: Edition Nautilus Verlag Lutz Schulenburg 2013, S. 102/ 6Dany, Hans-Christian: Morgen werde ich Idiot. Hamburg: Edition Nautilus Verlag Lutz Schulenburg 2013, S. 102f./ 7Baudrillard, Jean: Kool Killer oder Der Aufstand der Zeichen. Berlin: Merve Verlag, S. 29-30/ 8Marcuse, Herbert: Der eindimensionale Mensch. Darmstadt und Neuwied: Hermann Luchterhand Verlag 1967, S. 79f./ 9Marcuse, Herbert: Der eindimensionale Mensch. Darmstadt und Neuwied: Hermann Luchterhand Verlag 1967, S. 83/ 10Vgl.: Unsichtbares Komitee: An unsere Freunde. Hamburg: Edition Nautilus Verlag Lutz Schulenburg 2015, S. 186